Das Warten und Hoffen auf Besserung ist vorbei, die Profikarriere mitten in der Saison, die keine war, beendet. Zermürbende vier Monate liegen hinter dem Schwenninger Radprofi Jan Hugger (Team Lotto Kern-Haus PSD Bank). Wegen Herzrhythmusstörungen und nach zwei Herzablationen seit April, zog der 26-Jährige nun die Reißleine und gab schweren Herzens seinen Ausstieg aus dem Spitzensport bekannt.

Für die Saison 2024 hatte er im Winter noch einmal richtig gut trainiert. Wegen der Fertigstellung seines Masterstudiums sollte es ohnehin die letzte Profi-Saison sein. Saisonziele waren die Bundesliga-Gesamtwertung, DM-Bad Dürrheim und die Deutschland-Tour mit Etappenziel in Villingen-Schwenningen. „Dementsprechend brachte ich eine gute Form zu den ersten Rennen im März auf Rhodos mit“, verrät Jan Hugger, der bei der gut besetzten Tour of Rhodos dann auch sehr guter 23. in der Gesamtwertung wurde. Dann der Cut. In den darauffolgenden Rennen kämpfte er vermehrt mit gesundheitlichen Problemen, die in der Sportmedizin Tübingen gecheckt wurden. Diagnose: Herzrhythmusstörungen. „Nach einer Woche Krankenhausaufenthalt folgte direkt die Ablation mit Aussicht, dass ich nach kurzer Zeit wieder in den Rennbetrieb einsteigen kann.“ Doch der Eingriff blieb ohne Erfolg. Hugger versuchte weiterhin so gut es ging im Training zu bleiben. Auf eine erneute Diagnostik sollte im Juli ein zweiter Eingriff am Herzen folgen. Die Heim-DM wurde gestrichen. Es blieb die Hoffnung auf einen Start bei der D-Tour mit Etappenzielort VS. Doch auch die zweite Ablation blieb erfolglos und führte nach reiflicher Überlegung und nach intensivem Austausch mit seinem Trainer Hartmut Täumler zum vorzeitigen Karriereende des Kontinentalfahrers. Nun rast also das Feld der „Lidl Deutschland Tour“ am kommenden Samstag (24.August) ohne den „Lokalhelden“ direkt am Hugger‘schen Familienhaus in Schwenningen vorbei.

 

Jan Hugger stammt aus einer kleinen Radsportdynastie. Bereits Ur-Opa Engelbert (ehemals Vorsitzender des Radfahrervereins RV Viktoria 1910 Niedereschach) fuhr in den 1920er Jahren Straßenrennen. Opa Erich und Großonkel Hubert feierten in den fünfziger Jahren Erfolge als berüchtigte „Grüne Teufel“. Im Trikot des RSpV06 Schwenningen fuhr Vater Heinz noch Seniorenrennen und so wuchsen Jan und sein Bruder Urs automatisch in die Radsportszene hinein. Nach ersten sportlichen Erfolgen als Nachwuchs-Eishockey-Goalie (Jan war Teil der Mannschaft des Jahres 2009 in VS, die inoffizieller deutscher DEL-Knabenmeister wurde), entschied er sich als Knirps für den Radsport. Die ersten Lizenzrennen fuhr er 2008 mit zehn Jahren für den RV Viktoria, trainiert von Willi Haßler. Ab 2011 fuhr Hugger für den Landeskader Württemberg, WRSV (u15, u17, u19). 2014 startete er erstmals für die Nationalmannschaft (Bund Deutscher Radfahrer) bei den „Young Classics“ in Hamburg und gewann die erste DM-Medaille bei der u17-Mannschaftszeitfahr-Meisterschaft 2014. Es folgte die Berufung in die Junioren-Nationalmannschaft mit zahlreichen Einsätzen bei Nation Cups und internationalen Rundfahrten. Eindruck machte er mit dem zehnten Gesamtplatz bei der renommierten „Tour Valromey“. Zudem stand er im WRSV-Trikot bei Bundesligarennen am Start. Höhepunkt und Abschluss der Juniorenzeit: Die Nominierung und Teilnahme an der Europameisterschaft 2016 in Plumelec.

 

Im ersten Elite-Jahr 2017 legte der junge Radsportler zunächst den Fokus auf Schule und Abitur, unterschrieb zunächst beim Amateurteam G24 (heute BikeAid – Devo) und machte dort mit guten Ergebnissen auf sich aufmerksam. Mitte der Saison kam das UCI-Kontinentalteam „0711 Cycling“ auf ihn zu und bot einen Vertag, an. Nun war er Teil des Profizirkus, wenngleich nach World Tour und Pro-KT in der dritten Profiliga.

 

 

„Zudem bekam ich weiterhin Nationalmannschaftseinsätze. Highlights mit 0711-Cycling waren auf alle Fälle die „Sibiu-Tour“ in Rumänien mit dem späterem Tour de France-Sieger Egan Bernal und die Tour of Iran, welche eine Erfahrung war, an die ich immer denken werde“, zählt Hugger auf. Ab 2018 ging es im Trikot von „Lotto Kern-Haus“ weiter, gleichzeitig nahm auch das Bachelorstudium an der HFU in Furtwangen im Bereich „Wirtschaftsingenieurwesen - Service Management“ Fahrt auf. Das Spitzensport-Programm der HFU machte diese Duale Karriere möglich.

 

Das Kontinentalteam „Lotto Kern-Haus“ ist bei vielen stark besetzten Rennen auch mit World Tour-Beteiligung gern gesehen. „Was mir immer sehr viel Spaß gemacht hat, da oftmals große Namen mit am Start standen. Das Highlight war 2018 die WM-Teilnahme in Innsbruck in der Elite im Mannschaftszeitfahren mit Lotto Kern-Haus. Aber auch die Starts bei Landesrundfahrten, wie Luxemburg, Slowakei, Österreich, Deutschland, Rhodos, Tschechien“, blickt Jan Hugger zurück.

 

Dreimal holte der Doppelstädter mit seinem Team den deutschen Vize-Meistertitel im Mannschaftszeitfahren, ein Mal Bronze. Er belegte bei der Tour of Rhodes 2020 den neunten Gesamtrang und wurde dort Dritter der Nachwuchswertung. Ein Jahr später erreichte er auf der griechischen Insel den sechsten Gesamtplatz.

 

Ende August 2021 stürzte Jan Hugger bei der Deutschland Tour schwer, brach sich den Oberschenkelhals, kämpfte sich aber nach OP und vier Wochen Reha wieder zurück aufs Rad.

Und kam stärker zurück als zuvor.

 

Das Folgejahr, 2022, sollte die erfolgreichste Saison werden. Im Mai gewann der Wiedergenesene die prestigeträchtige, schwere Erzgebirgsrundfahrt als Solosieger. Bei der Deutschland Tour machte er auf der zweiten Etappe mit einer langen Flucht auf sich aufmerksam und lieferte spannende Fernsehbilder. Die Bundesliga schloss er haarscharf geschlagen als Zweiter ab. Knapp, weil hier „Team Lotto Kern-Haus“ mit Routiniers und den U23-Nationalfahrern zweigleisig fuhr und deshalb nicht immer in Bestbesetzung bei der „Müller-Die Lila Logistik Rad-Bundesliga“ um wichtige Punkte kämpfte. Dennoch, der Sieg der dreitägigen „Tour de Allgäu“ und der Titel des Deutschen Vize-Bergmeisters rundeten das erfolgreiche Jahr ab.

 

Weil die Bachelorarbeit geschrieben werden musste, fuhr der gewissenhafte Student die sportliche Vorbereitung auf 2023 etwas zurück, schloss das Studium im Februar ab und begann sogleich an der HFU mit dem Masterstudium „Wirtschaftsingenieurwesen - Product Innovation“. Trotzdem war die sportliche Form eine gute, musste aber nach einer Corona-Erkrankung noch einmal neugestartet werden. Als inzwischen erfahrener Helfer stellte er sich in den Dienst der Mannschaft. Pech ereilte den Lokalmatadoren bei der Deutschen Straßenmeisterschaft 2023 in Bad Dürrheim, als er nach einem Defekt direkt nach dem Start nicht mehr richtig ins Rennen zurückfand. Als „Captain du Route“, ein wichtiger Mann mit absolutem Rennüberblick, trug er zum Sieg in der Bundesliga-Gesamtwertung von „Teammate“ Jakob Geßner bei und beendete seine Rennen selbst oftmals in den Top10

 

Die Saison 2024 dagegen, die mit einem guten Auftritt auf Rhodos begann, endete abrupt und führte nach frustrierenden, krankheitsbedingt rennlosen Monaten nun in einen neuen Lebensabschnitt.

 

„Jetzt heißt es Abstand zu gewinnen und mit ausreichend Zeit und Geduld dem Ganzen auf den Grund zu gehen“, sagt Hugger enttäuscht, aber mit Blick nach vorn. „Ich möchte dem Sport treu bleiben, und, wenn ich wieder hundertprozentig belastbar bin, auch wieder bei Elite-Rennen am Start sein. Es ist nicht das Karriere-Ende, das ich mich gewünscht hatte, aber die Gesundheit geht vor. Eventuell kann mein Fall künftig Sportlern mit ähnlichen Problemen helfen.“

 

Jan Hugger blickt auf ereignisreiche acht Jahre im UCI-Kontinental-Sport zurück, mit Höhen und Tiefen. „Leider muss ich zum größten Tiefpunkt aufhören, aber mit den Beginn eines neuen Lebensabschnitts, beginnt auch etwas Neues. Ich habe viel Lebenserfahrung und Lehren fürs Leben ziehen können, viele coole Menschen kennengelernt, Orte gesehen, an die man nicht zwingend reisen würde, oder die man auch weniger auf dem Schirm hat. Habe Leiden und Freude gehabt. Ich bin froh um die Zeit, die ich im Sport hatte.“

 

Links: Erstes Anfänger-Rennen überhaupt 22.April 2007 in Deisslingen, rechts: Sieg in Schüler U11 am 7.Spetember 2008 in Stuttgart im Viktoria-Trikot (Fotos: beide Uli Hugger)

Solosieg bei der Erzgebirgsrundfahrt im Mai 2022 (Foto: Mareike Engelbrecht)

Als Bundesligaführender im SWR-Interview Juni 2023 am Deutschen Weintor (Foto: Uli Hugger)

 

Österreichrundfahrt 2023 (Foto: Mario Stiehl/Team Lotto Kern-Haus)

Links: Deutschland Tour 2022 (Foto: Hennes Roth)                           Rund um Köln 2022 (Foto: Fabian Kiersch)

Rad-DM Bad Dürrheim 2023 mit eigenem Fanclub (Fotos: privat und Uli Hugger)

Straßen-Weltmeisterschaft 2018 in Innsbruck - Mannschaftszeitfahren mit Team Lotto Kern-Haus (Foto: privat)

GP Rüebliland u19 im BDR-Trikot (Foto: Uli Hugger)

Valromeytour als Gesamt-Zehnter im WRSV-Trikot

Tour of Iran mit 0711 Cycling                                                                  Sibiu-Tour (Rumänien) mit 0711 Cycling  (beides Team-Fotos)

 

links: Oberschenkelhalsbruch bei der Deutschland Tour 2021, rechts: 1.Ablation im April 2024 (Fotos: privat)

 links:Letzter Start, Fellbach 26.07.2024, Mitte: Trainer Hartmut Täumler seit u17, rechts: Jan und Urs Hugger mit Viktoria-Trainer Willi Haßler (Fotos:Uli Hugger)

 

Text:uhu

Fotos: Titelbild - Carla Nageln, alle weiteren siehe BUs

 

 

 

Profi-Highlights zusammengefasst:

 

  • Sibiu 2017 mit 0711 Cycling

  • Iran 2017 mit 0711 Cycling

  • WM 2018 Mannschaftszeitfahren mit Team Lotto Kern-Haus

  • D-Tour 2018, 2019, 2021, 2022

  • Saison 2022 – Sieger Erzgebirgsrundfahrt, Sieger Tour de Allgäu, Vize Bundesliga Gesamtwertung, Vize DM-Berg